Juristische Rehabilitation 1996
Viele Gruppen und Unterstützer haben sich im Gedenkjahr des Kriegsendes (1995) und im Gedenkjahr des Bonhoeffer-Geburtstages (1996) für die juristische Rehabilitierung Bonhoeffers eingesetzt. Zu den aktiven Unterstützern gehörte der Dietrich-Bonhoeffer-Verein (dbv). Vom dbv wurden umfangreiche Unterschriftenlisten, auf denen man sich für die Rehabilitierung Bonhoeffers aussprechen konnte, eingesammelt. Es wurde der Kontakt des dbv zur Evangelischen Fachhochschule Hannover hergestellt, die bei der Verfahrensinitiative vor Gericht die Federführung übernommen hatte.
Am 1. August 1996 fällte das Landgericht Berlin, vor dem das Verfahren stattfand, sein Urteil und stellte die Aufhebung des Urteils des SS-Standgerichts in Flossenbürg vom 8. April 1945, das der Ermordung Bonhoeffers vorausging, fest. Mit Schreiben vom 28. September 1996 übersandten Prof. Karl-Heinz Lehmann und Wolfgang Kohl von der Evangelischen Fachhochschule Hannover dem dbv den Gerichtsbeschluss. In ihrem Anschreiben brachten sie zum Ausdruck, dass das wichtigste Ergebnis des Rehabilitationsbeschlusses die Feststellung sei:
„Tatsächliches Bestreben der Widerstandsgruppe um Bonhoeffer und Canaris war die möglichst schnelle Beendigung des Krieges, die Absetzung Hitlers und die Beseitigung des nationalsozialistischen Staates. Ihr Handeln zielte nicht auf eine Gefährdung des Reiches ab, sondern – ganz im Gegenteil – darauf, durch das NS-Regime verursachten Schaden vom Land und seiner Bevölkerung abzuwenden. Ihr Motiv war nicht Zerstörung, sondern Vaterlandsliebe und Einsatz für die Sache der Menschlichkeit.“
Im Jahrs 2012 kam in der Deutschen Burschenschaft eine Diskussion darüber auf, ob Bonhoeffer ein Landesverräter gewesen sei. Auslöser war eine Äußerung von Norbert Weidner (Alte Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn) in einem Leserbrief. Herr Weidner warf Bonhoeffer „Landesverrat auf Kosten von tausenden Soldaten an der Front und der durch diese beschützten Flüchtlinge besonders in den Ostgebieten“ vor. Wörtlich schrieb er: „Bonhoeffer war zweifelsfrei ein Landesverräter“.
Wir müssen uns als dbv solchen Diffamierungen entgegenstellen. Das Berliner Urteil von 1996 stellt fest:
„Bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Verurteilung der Widerstandskämpfer wegen Hoch- und Landesverrates gemäß §§ 80 bis 93a StGB a.F. lagen nicht vor. Weder hatten die Betroffenen es unternommen, die Verfassung des Reiches, die nach der nationalsozialistischen Machtergreifung de facto ohnehin außer Kraft gesetzt war, zu ändern (vgl. § 80 Abs. 2 StGB a.F.), noch hatten sie durch ihr Tätigwerden vorsätzlich das Wohl des Reiches gefährdet (vgl. § 88 Abs. 2 StGB a.F.).“
Damit das Urteil des Berliner Landgerichts in der Öffentlichkeit bekannter wird und helfen kann, Versuche der verleumderischen Diffamierung zurückzuweisen, machen wir es hier allen Interessierten zugänglich (auch veröffentlicht in der Zeitschrift des dbv „Verantwortung“ 19/1996, Seite 466-478. Wiederabdruck in: Karl Martin [Hrsg.], Dietrich Bonhoeffer: Herausforderung zu verantwortlichem Glauben, Denken und Handeln, Berliner Wissenschafts-Verlag 2008, Seite 80-88).